Moin!
Nach einem kurzen, eher oberflächlichen Update zu Hims&Hers auf meinem YouTube-Kanal möchte ich nun ausführlicher auf die aktuelle Situation eingehen. Der Fokus liegt dabei auf dem Wachstum ohne GLP-1s, einem möglichen Umsatzrückgang in Q2’2025 und einem Bewertungsmodell, das meine Erwartungen unabhängig von der Unternehmens-Guidance widerspiegelt.
Wer in die ursprüngliche Analyse (die erste in diesem Blog) nochmal reinschauen möchte, wird es vermutlich amüsant finden, wie viel besser sich das Unternehmen entwickelt hat, als man es vor nicht einmal zwei Jahren für möglich gehalten hätte.
Umsatzrückgang im nächsten Quartal? + Novo Partnerschaft
Bevor wir uns den spannenden Entwicklungen widmen, räumen wir kurz die Zahlen aus dem Weg – erst das Gemüse, dann der Nachtisch. Die quartalsübergreifenden Zahlen geben uns dabei einen guten Eindruck, wie es in naher Zukunft weitergehen könnte.
Das Umsatzwachstum von 111% war zwar keine Überraschung, aber dennoch beeindruckend. Wichtiger als die aktuellen Zahlen ist jedoch die Guidance für die kommenden Quartale: Das Management prognostiziert einen Gesamtumsatz von 2,3-2,4 Mrd. USD für 2025, was die Erwartungen für die nächsten Quartale vorgibt.
Doch warum kommt es überhaupt erstmals zu einem Umsatzrückgang?
Während die GLP-1 Gewichtsverlust-Spritzen von den Unternehmen Eli Lilly und Novo Nordisk auf der Liste der knappen Medikamente der FDA standen, durften in den USA Mischpräparate hergestellt werden. Das bedeutet, Hims&Hers konnte eigene Spritzen mit dem von Novo Nordisk verwendeten Wirkstoff Semaglutid herstellen und vertreiben. Die Möglichkeit, eines der aktuell am stärksten nachgefragten Medikamente zu einem Bruchteil des Preises anzubieten, führte zu einem unschlagbaren Angebot, was sich deutlich in den Zahlen widerspiegelte.
Jetzt ist diese Sonderregelung passé, sodass nur noch GLP-1-Patienten mit "personalisierten Dosen" weiterhin beliefert werden dürfen. Laut Management betrifft das rund 50%. Dabei geht es hinter den Kulissen weniger darum, ob diese personalisierten Dosen tatsächlich klinisch notwendig sind, sondern vielmehr darum, dass es sich nicht um eine von Novo Nordisk angebotene Standardmenge handeln darf (dazu gleich mehr).
Die Novo Nordisk Partnerschaft
Nach der Bekanntgabe der Partnerschaft zwischen Hims&Hers und dem dänischen Pharma-Giganten Novo Nordisk herrschte erstmal Erleichterung: Das juristische Klagerisiko war vom Tisch. Im Rahmen der Partnerschaft vertreibt Hims&Hers nun das Original-Medikament "Wegovy” für 599 USD pro Monat.
Sowohl Novo Nordisk als auch Eli Lilly haben versucht, den Vertrieb selbst zu stemmen, mussten aber erkennen, dass es sich dabei um eine völlig andere Kernkompetenz handelt. Novo braucht Hims&Hers in den USA, um nicht von Eli Lilly abgehängt zu werden.
Die anfänglichen Sorgen über schlechtere Margen im Vergleich zu ihren eigenen Medikamenten kann ich nicht abschließend bestätigen – durch den deutlich höheren Gesamtpreis werden sie ihren Anteil sicher herausnehmen können. Der größere Nachteil ist allerdings, dass es schwieriger ist, ein quasi baugleiches Medikament für jetzt fast den doppelten Preis zu verkaufen.
Was hält Novo Nordisk von den "personalisierten" GLP-1 Verkäufen?
Die GLP-1 Medikamente sind patentiert, weshalb der Verkauf jeglicher Mischpräparate, besonders nach Ablauf der Sonderregelung, in einer Grauzone lag. Die Regel besagt: Ein Weiterverkauf ist nur erlaubt, wenn eine klinische Notwendigkeit für eine personalisierte Dosis beim Patienten besteht (aufgrund von Nebenwirkungen) und es sich nicht um eine direkte Kopie des Original-Medikaments handelt. Da Novo Nordisk sich natürlich nicht verarschen lässt, war genau dies Teil der Gespräche vor der Partnerschaft der beiden Unternehmen, wie CEO Andrew Dudum im letzten Earnings-Call erläuterte.
Es gibt eine klare Absprache mit Novo, wann sie ihre eigenen Medikamente personalisiert verschreiben dürfen. Sie verstehen sich dabei nur als Gesundheits-Plattform, auf der Ärzte die Entscheidung bei zu starken Nebenwirkungen treffen.
Hier wird es aber interessant.
Wer das Geschäftsmodell von Hims&Hers kennt und weiß, wie sie mit Ärzten zusammenarbeiten, der kann vermuten, dass das nur die halbe Wahrheit ist. Ärzte, die für Hims&Hers diese Beurteilungen durchführen, bekommen klare Empfehlungen angezeigt. Da Nebenwirkungen bei fast allen Patienten auftreten, besteht die Möglichkeit, einem relativ großen Anteil ihre eigenen Mischpräparate zu verschreiben. Das eigentliche Problem liegt eher darin, dass sie ihre hochprofitable Werbung für günstige GLP-1-Medikamente nicht mehr schalten können.
Aber selbst ohne die stärkste Kategorie, Gewichtsverlust, wäre das Unternehmen um 30% im Jahresvergleich gewachsen. Das ist ein deutliches Signal an alle, die Hims&Hers als stagnierendes Unternehmen ohne GLP-1s bezeichnen. Mehr zur Performance des restlichen Geschäfts gibt es gleich.
Profitabilität
Für mich die größte Überraschung war der Sprung in der Profitabilität. Während Hims&Hers als Wachstumsunternehmen durchaus das Privileg besitzt, nicht zwingend große Gewinne vorzeigen zu müssen, machen sie trotzdem im Rekordtempo Fortschritte.
Während ich anfänglich davon ausging, dass dies hauptsächlich ein Resultat aus dem Verkauf ihrer Mischpräparate war, musste ich bei meiner Spurensuche feststellen, dass diese Entwicklung eventuell nachhaltiger ist als zunächst gedacht. Der Hauptgrund liegt in den reduzierten Marketingausgaben relativ zum Umsatz. Sie haben angekündigt, bis 2030 eine adjustierte EBITDA-Marge von 20% erreichen zu wollen. Ihr wisst, dass ich adjustierten Zahlen keine große Bedeutung beimesse, allerdings korrelieren diese natürlich mit der Nettomarge, bei der ebenfalls deutliche Verbesserungen zu erwarten sind.
Natürlich mussten sie einen Teil ihrer Marketingaktivität für ihre niedrigpreisigen Gewichtsverlustmedikamente einstellen, allerdings sind die neuen Kampagnen für das 599 USD Abo von Wegovy bereits in vollem Gange.
Zum ersten Mal in der Geschichte des Unternehmens verbreitet sich der Name in den USA wie ein Lauffeuer, und sie profitieren massiv von Mund-zu-Mund-Propaganda. Dafür sind nicht zuletzt der Aktienkurs und die Börsenstory mitverantwortlich. In Gesprächen mit Freunden aus den USA wird deutlich, dass Hims&Hers bereits zu einem echten Haushaltsnamen geworden ist. Häufig wird mit einem sanften Lächeln darüber gesprochen, eine deutliche Veränderung gegenüber der Situation vor noch 1,5 Jahren.
Zudem verbessert sich das bestehende Geschäft. Wenn man Geschäftsführer Andrew Dudum über das Sex-Business sprechen hört, das bisher von “On-Demand Viagra” dominiert wurde, erkennt man auch hier eine klare Verbesserung. Mittlerweile nutzen 40% der Patienten in diesem Bereich tägliche Behandlungen mit zusätzlichen Wirkstoffen, die naturgemäß wiederkehrender sind als gelegentliche Spaß-Pillen.
Das Geschäft zeigt keinerlei Anzeichen einer Verlangsamung, die Nachfrage nach Gewichtsverlustmedikamenten bleibt in den USA durchgehend hoch, was enormes Zukunftspotenzial verspricht. Besonders interessant für langfristige Investoren: Die meisten Patente laufen zwischen 2030 und 2031 aus, spätestens dann schlägt ihre Zeit.
What's next?
Ich glaube, der ein oder andere hat vor lauter großen Zahlen im Shareholder Letter für das Jahr 2030 das Kleingedruckte übersehen. Der letzte Punkt auf der Seite "Global expansion of our platform" sollte dabei besondere Beachtung finden.
Der Geschäftsführer sagte zu Beginn des Earnings-Calls dazu folgendes:
"Early traction in the U.K. gives us confidence that we can scale our platform globally and extend our mission to help people around the world feel great through the power of better health."
Ich möchte klar machen, dass der amerikanische Markt alleine ausreicht, um ihre Ziele zu erreichen und weit darüber hinaus. Ihr heutiger Marktanteil ist noch immer winzig, und deswegen wird der Fokus auch erstmal auf den USA bleiben.
Eine Bevölkerung von 340 Millionen Menschen mit enorm hohen Gesundheitskosten, wobei praktisch die gesamte Bevölkerung unversichert ist, macht eine Barzahlung bei Hims&Hers, einem relativ günstigen Anbieter, zur besten Lösung. In den USA greifen die meisten Versicherungsverträge erst ab 2.000-3.000 USD Kosten im Jahr, sodass die meisten Leistungen aus eigener Tasche gedeckt werden müssen, sofern keine katastrophale Krankheit vorliegt.
Nichtsdestotrotz: Je mehr sich der Fokus von der reinen Behandlung von Krankheiten hin zur Prävention und der Förderung eines gesunden Lebensstils verschiebt, desto sinnvoller wird eine Expansion in neue Länder. Auch wäre in Europa langfristig eine Zusammenarbeit mit Versicherungen denkbar – etwas, was sie in den USA eben nicht tun müssen.
Ein gewaltiger Gesundheits-Trend kommt ins Rollen
Wer sich anschaut, welche Gesundheits-Start-ups aktuell von Venture-Capital-Fonds mit üppigen Mengen an Wachstumskapital ausgestattet werden, erkennt: Über die kommenden Jahrzehnte wird sich grundlegend verändern, wie wir mit dem Gesundheitswesen in Kontakt treten. Alle versuchen – sei es über Bluttests (Aware in Deutschland), neue Arten von gesundheitlichen Scans (Start-up von Spotify-Gründer) oder andere Wege – einen Fuß in die Tür zu bekommen, um dann in neue Verticals vorzudringen. Hims&Hers hat genau das schon lange geschafft und baut nun die Infrastruktur auf, um Bluttests in großem Maßstab durchführen zu können.
Kurzfristig trägt das Früchte, weil es beispielsweise Testosteron und Menopause als neue Behandlungskategorien ermöglicht (kommen Ende 2025 auf die Plattform). Langfristig eröffnet das Zusammenspiel der Daten von Millionen Patienten noch unendlich viele neue Möglichkeiten. In solchen Situationen ist es aus Aktionärssicht hervorragend, sich hinter ein Management stellen zu können, das bereits bewiesen hat und weiterhin beweisen wird, dass es aus solchen Chancen Profit schlagen kann.
Bewertung
Immer wieder kommt die Frage auf, wie man mit der Aktie bei unterschiedlichen Preisen umgehen sollte. Nach meiner Überzeugung lässt sich dies in drei unterschiedliche Zonen einteilen.
Der erste Bereich ist, wo man definitiv nachkaufen sollte. Der zweite ist ein breiter Bereich, in dem Nachkaufen zwar kein No-brainer ist, die Bewertung aber auch noch keine Ausmaße angenommen hat, die einen klaren Verkauf rechtfertigen würden. Natürlich muss es auch eine Grenze geben, ab der es bewertungstechnisch einfach nicht mehr sinnvoll ist, weiterhin an dem Unternehmen beteiligt zu bleiben. Genau das werden wir jetzt näher betrachten, auch wenn diese Grenzen fließend und eher als Orientierung zu verstehen sind.
—
Ich habe für euch drei unterschiedliche Szenarien entwickelt, die Wachstumserwartungen, Marge und KGV bei jeweils drei verschiedenen Aktienkursen von $30 / $50 / $70 USD betrachten, sodass wir insgesamt neun Möglichkeiten analysieren können.
Was in der Grafik nicht einsehbar ist: Das Management hat für 2030 ein mindest-Ziel von 6,5 Mrd. USD Umsatz herausgegeben. Im pessimistischen Szenario komme ich mit den Wachstumsannahmen nur auf 5,9 Mrd. USD. Im realistischen Szenario landet der Umsatz bei 8,7 Mrd. USD, was etwa der üblichen Übertreffungsquote des Managements entspricht. Die optimistischen Annahmen führen zu einem Umsatzziel von 10,3 Mrd. USD, was allerdings schon äußerst optimistisch ist.
Da der Aktienkurs bei Veröffentlichung dieses Updates bei $49,52 USD liegt, habe ich für euch die drei Szenarien bei einem Aktienkurs von $50 USD markiert. Eine zweistellige Rendite mit vernünftigen Annahmen halte ich durchaus für möglich. Allerdings zeigt das pessimistische Szenario auch, dass "gutes" Wachstum allein nicht ausreicht. Nach oben hin ist natürlich alles möglich.
An dieser Stelle wird wieder deutlich, dass man sich beim Investieren durch tiefgründige Arbeit zwar ein besseres Bauchgefühl erarbeiten kann. Die finalen Entscheidungen bleiben jedoch mehr Kunst als Wissenschaft, zumindest bei Unternehmen in einem noch tendenziell frühen Stadium wie Hims&Hers.
Ich hoffe, das war hilfreicher als mein Gebrabbel im letzten YouTube-Video. Am Freitag kommt eine neue Auswahlrunde potenzieller Analyse-Kandidaten inklusive Abstimmung. Und sobald ich das hier hochgeladen habe, arbeite ich hinter den Kulissen weiter an einer frischen Analyse zu einem spannenden Unternehmen, das kaum jemand auf dem Zettel haben dürfte.
Over & Out.
- Bruno 🏴☠️